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Bericht von Anke Schäfer, Neuer Tag, Weiden, 6.5.2024

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(…) Sein Fokus beim Erkunden der Umgebung liegt daher logischerweise auf den Wanderwegen, aber auch die sonstigen Überraschungen, die seine neue Heimat auf Zeit zu bieten hat, finden sein Interesse: „Ich mag Sulzbach-Rosenberg langsam entdecken.“
Was auf seinem Schreibtisch im Turm liegen wird und was nicht, wusste er auch schon vorab genau: „Kein Handy. Keine Verbindung zur jetzigen konkreten Weltpolitik erstmal.“ Für ihn als Mensch und jüdische Person sei es wichtig, die Stimme gegen Krieg und Tod von Zivilistinnen und Zivilisten, egal welcher Religion, zu erheben: „Aber ich bin auch erschöpft. Ich bin tatsächlich in Sulzbach-Rosenberg mit Fieber und Bauchschmerzen angekommen, da mein Körper mir schon sagt, ich soll mich beruhigen.“
Kreative Auszeit
Auf die Frage, wie er das auffallende Schweigen der Kulturszene nach dem terroristischen Überfall der Hamas auf Israel empfunden hat, antwortet Dotan-Dreyfus: „Ich habe in einer Veranstaltung gegen Antisemitismus vorgelesen, und es gab noch andere. Ich weiß nicht, was von der Kulturszene erwartet ist, aber wenn jemand eine Idee hat, bin ich offen, es zu hören. Für mich war der 7. Oktober und ist immer noch sehr präsent in der Kulturszene, aber ich möchte anderen ihre Erfahrung nicht nur deshalb absprechen, weil ich was anderes spüre. Deswegen war und bin ich immer offen für Diskussion über mögliche Wege vorwärts.“
In der kreativen Auszeit will er sich nun seinem zweiten Roman widmen, der sich überhaupt nicht um Israel, Jüdischsein oder Deutschland drehe: „Es geht um abstraktere philosophische Fragen und um die Literatur selbst. Ich habe einige Bücher und Essays mitgebracht, die mit meinen Themen etwas zu tun haben.“
Der Oberpfälzer Öffentlichkeit stellt sich Tomer Dotan-Dreyfus mit einer Lesung aus seinem Erstling „Birobidschan“ vor,mit dem er auch auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis 2023 stand. Auf das titelgebende sibirische Schtetl, Hauptstadt des gleichnamigen autonomen jüdischen Gebiets, sei er beim Besuch eines Jiddischkurses in Berlin gestoßen: „Jiddisch war die Muttersprache meiner Großeltern und ich wollte sie immer besser können. Irgendwann stieß ich auf diesen Ort Birobidschan, weil es der einzige Ort der Welt ist, wo Jiddisch die Amtssprache ist. Ich fand es interessant und unmöglich, Jiddisch als Amtssprache klang für mich einfach fiktional.“
Gut fürs Schreiben und die Seele In den sieben Jahren, die er am Roman gearbeitet hat, war aber nicht immer nur er Herr des Geschehens – manche Geschichte dieses faszinierenden, ungewöhnlichen Panoptikums haben auch ihn gefunden:
„Wenn man so lange schreibt, fängt man langsam an, in manche Figuren sogar verliebt zu werden. Birobidschan war ein Experiment in Politik, ist für mich als Erzähler ein literarisches Experiment, und als Autor auch ein Experiment in Beziehungen und Freundschaften, die ich verloren habe, sobald das Schreiben zum Ende kam.“
Schwierige Diskussionen führen
Für seinen Stipendiums-Aufenthalt im Wehrturm wünscht er sich jetzt, „dass ich wirklich den Schritt aus Deutschland und in den Ort, wo mein nächster Roman spielt, schaffen kann. Es wird nicht nur für mein Schreiben gut, sondern wahrscheinlich auch fürmeine Seele.“
Für die Zukunft unserer Gesellschaft wünscht er sich, „dass wir uns mehr trauen, dass wir uns als eine stärkere Gesellschaft verstehen werden, die schwierige Diskussionen führen kann.“ Und den Mut, ohne Angst unsere Gesellschaft durch Gespräche zu konstruieren und nicht durch Ausschließungen von Stimmen.

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